Chancen und Herausforderungen aus Sicht des VC-Investors
20. August 2024
Jesse Jeng
Founding & Managing Partner, SCALEHOUSE Capital
Generative KI hat das Potenzial, die Softwareindustrie grundlegend zu verändern. Als VC-Investor mache ich mir häufig Gedanken darüber, welche möglichen Auswirkungen diese Technologie auf die Zukunft von Digital- und KI-Startups haben könnte. Einige Studien warnen davor, dass die zunehmende Automatisierung und die damit verbundene Kostensenkung in der Softwareentwicklung zu einem Preisverfall und einer Marktsättigung führen könnten. Besonders für kleinere Softwareunternehmen und Startups könnte dies problematisch sein, da sie möglicherweise Schwierigkeiten haben, mit größeren Marktteilnehmern mitzuhalten.
Doch wie bei allen disruptiven Technologien gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille. Die vermeintlichen Risiken bieten zugleich erhebliche Chancen für diejenigen, die diese Technologie geschickt zu ihrem Vorteil nutzen. Lasst uns die Potenziale einmal genauer betrachten:
- Preissenkung als Hebel für gesteigerte Profitabilität und Marktexpansion
- Da die Einführung von generativer KI die Kosten der Softwareproduktion erheblich senkt, könnte dies Endkunden dazu veranlassen, auf Preissenkungen zu drängen. Auch könnte die erhöhte Konkurrenz durch neue Marktteilnehmer den Preisdruck weiter erhöhen. Auf den ersten Blick mag das bedrohlich erscheinen – besonders für Startups, die oft weniger finanzielle Flexibilität haben.Doch genau hier liegt auch eine enorme Chance. Die drastisch gesunkenen Produktionskosten ermöglichen es Startups, ihre Software zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten und gleichzeitig profitabel zu bleiben. Das bedeutet, dass selbst bei sinkenden Verkaufspreisen die Margen stabil gehalten oder sogar verbessert werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die gesunkenen Preise öffnen den Markt für neue Kundensegmente, die zuvor aus finanziellen Gründen keinen Zugang zu Software hatten. Dies führt zu einer Verbreiterung des Marktes und steigert die Gesamtnachfrage nach Softwareprodukten. Besonders in Entwicklungsländern oder bei kleineren Unternehmen, die bisher zurückhaltend waren, könnte diese Preissenkung zu einem signifikanten Anstieg der Nutzerzahlen führen.Startups, die in der Lage sind, diese Effizienzgewinne zu nutzen, können wettbewerbsfähige Preise anbieten und so ihre Marktposition stärken oder sogar neue Märkte erschließen. Es zeigt sich also, dass Preissenkungen durch generative KI nicht zwangsläufig zu einem Verlust an Profitabilität führen müssen. Vielmehr besteht das Potenzial, den Softwaremarkt insgesamt zu vergrößern und die Profitabilität der Unternehmen zu sichern, die diese Technologie geschickt einsetzen.
- Erhöhte Profitabilität durch Diversifizierung und Share of Wallet
- Die Vorstellung, dass ein neues Marktgleichgewicht zwangsläufig zu geringeren Gewinnen führt, greift zu kurz. Startups haben die Möglichkeit, durch innovative Ansätze ihren Anteil am Budget ihrer Kunden zu erhöhen. Die Integration von generativer KI in bestehende Produkte oder die Entwicklung neuer, kreativer Lösungen könnten es Startups ermöglichen, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. Beispielsweise könnten KI-gestützte Add-ons, maßgeschneiderte Services oder Abonnementmodelle entwickelt werden, die den Wert für den Kunden erhöhen und gleichzeitig die Margen verbessern. Dies eröffnet Startups die Möglichkeit, in einem sich schnell entwickelnden Markt zu wachsen und ihre Position zu stärken.
- Erweiterung des Marktes durch neue Anwendungsgebiete
- Generative KI eröffnet neue Anwendungsfelder, die vorher von menschlichen Arbeitskräften dominiert wurden. Startups können diese Technologie nutzen, um in Nischenmärkten Fuß zu fassen oder bestehende Märkte zu transformieren, die bisher personalintensive Service-Branchen waren. Beispiele hierfür sind Softwarelösungen für Rechtsberatung, Texterstellung, Consulting oder Callcenter-Dienste, die durch KI automatisiert werden können. Da immer mehr Dienstleistungen durch KI effizienter gestaltet werden, steigt die Nachfrage nach diesen spezialisierten Softwarelösungen, was den Markt für innovative Startups erheblich erweitern könnte.
- Erfolgreiche Implementierung von KI als Wachstumsbeispiel
- Es gibt bereits zahlreiche erfolgreiche Beispiele für den Einsatz von generativer KI in der Softwareindustrie. Startups, die auf Rechtsberatungs-Software, Schreibassistenz-Tools oder automatisierte Callcenter-Systeme setzen, haben gezeigt, dass KI nicht nur bestehende Märkte transformieren, sondern auch völlig neue Märkte schaffen kann. Ein gutes Beispiel ist ebenfalls unser neuestes Portfoliounternehmen VoiceLine. Durch das Hebeln der Fortschritte im Bereich KI gelingt es diesem führenden Voice-Startup, die Vertriebsdokumentation von Vertriebsangestellten entscheidend zu vereinfachen.Diese Entwicklungen unterstreichen, dass Startups, die frühzeitig auf KI setzen, in der Lage sind, nicht nur ihre Nische zu behaupten, sondern auch signifikant zu wachsen und neue Marktchancen zu erschließen.
Abschließende Gedanken
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass generative KI die Softwarebranche tiefgreifend verändert und Software-Startups enorme Chancen bietet. Anstatt den Markt zu schrumpfen, eröffnet diese Technologie Startups neue Möglichkeiten, sich zu differenzieren, innovative Produkte zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, die Vorteile der KI effizient zu nutzen und sich flexibel an die sich wandelnden Marktbedingungen anzupassen. In einem Markt, der durch generative KI dynamischer und zugänglicher wird, können agile und innovative Startups eine entscheidende Rolle spielen und erheblich profitieren.
Ich hoffe, dass ich mit diesem Beitrag mehr von Euch motivieren kann, die Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz als einmalige Chance zu identifizieren. Packen wir es an!